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TTIP-Rechtsschutz zu Ende denken

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Vergangene Woche hat die EU-Kommission ihren Reformvorschlag für das Investitionsschutzkapitel im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) vorgestellt. Die zahlreichen Verbesserungen setzen in vielen Punkten Maßstäbe und sind zu Recht überwiegend positiv aufgenommen worden. Eine grundsätzlichere, auch jetzt wieder aufgeworfene Frage bleibt allerdings weiterhin offen: Warum sollen nur ausländische Investoren, nicht aber einheimische Unternehmen, Verbraucher und Arbeitnehmer, die jeweils zu ihren Gunsten vereinbarten Schutzstandards einklagen können? Ist die einseitige Klagemöglichkeit nicht ein ungerechtfertigter Vorteil ausländischer Investoren gegenüber anderen von TTIP betroffenen Personen und Gruppen?

Der „Privilegierungseinwand“ und ein zu erwartendes Ungleichgewicht

Dieser „Privilegierungseinwand“ wurde bislang eher als wenig spezifiziertes politisches Schlagwort vorgebracht. Er geht aber von der zutreffenden Grundannahme aus, dass neben ausländischen Investoren auch einheimische Unternehmen sowie Verbraucher und Arbeitnehmer zukünftig (untechnisch gesprochen) Marktteilnehmer der gemeinsamen transatlantischen Freihandelszone sein werden. Sie werden dort untereinander und zu ausländischen Investoren in Wirtschaftsbeziehungen und z.T. auch wirtschaftlichen Wettbewerb treten. Auch ihre Rechte und Interessen werden von TTIP berührt werden.

Im Verhältnis ausländischer Investoren zu diesen anderen Gruppen zeichnet sich nach wie vor ein Ungleichgewicht ab: Dieses äußert sich einerseits darin, dass materielle Schutzstandards – z.B. Arbeitsstandards – voraussichtlich weit weniger stark im Vertragstext verankert werden als der Investitionsschutz (dies gilt zumindest für bisher bekannte Texte, etwa zu CETA). Dazu kommt aber auch ein Ungleichgewicht bei den Durchsetzungsmöglichkeiten: Selbst, soweit Schutzvorschriften in TTIP aufgenommen werden (was zumindest in bestimmten Bereichen zu erwarten ist), wird es voraussichtlich keine Möglichkeit für einheimische Unternehmen sowie Arbeitnehmer und Verbraucher geben, solche Schutzstandards vor einer TTIP-Streitbeilegungsinstanz geltend zu machen. Im Verfahren vor einem TTIP-Gerichtshof bliebe ihnen im Wesentlichen nur eine reaktive Rolle: Sie könnten entweder in einem zuvor von einem Investor begonnenen Klageverfahren an der Seite des beklagten Staates intervenieren (ohne dabei aber eigenständige Streitgegenstände einbringen zu können) oder als amicus curiae auftreten (siehe jeweils Sec. 3 Art. 23 TTIP-Vorschlag). Dagegen werden sie – anders als Investoren – voraussichtlich keine Möglichkeit haben, die Einhaltung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften initiativ einzuklagen. Diese Verschiebung der Balance zugunsten ausländischer Investoren kann in der Vertragspraxis dazu führen, dass diese ihre Interessen besser zur Geltung bringen können, während umgekehrt hinsichtlich der übrigen Marktteilnehmer Umsetzungsdefizite auftreten können.

Die bisher bekannten Regeln über die Einbindung von Stakeholdern und Zivilgesellschaft, die die fehlende Rechtsschutzmöglichkeit abfedern und theoretisch zu einer aktiveren Rolle anderer Marktteilnehmer beitragen könnten, können in ihrer derzeit bekannten Ausgestaltung trotz einiger beachtenswerter Ansätze keinen äquivalenten Ersatz bieten (zu einigen diesbezüglichen Problemen hier, zu bisherigen Erfahrungen aus anderen Abkommen hier, zu Verbesserungsvorschlägen hier).

Abseits dieser Einbindungsmechanismen sind inländische Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher auf internationaler Ebene also weiterhin davon abhängig, dass ihre in Rechte und Interessen durch die Vertragsstaaten im Wege der zwischenstaatlichen Streitbeilegung zur Geltung gebracht werden. Diese zum Teil schon in bisherigen Freihandelsabkommen bestehenden – und wohl auch im TTIP zu erwartenden – zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismen stimmen jedoch kaum zuversichtlicher: So ist z.B. im Bereich von Arbeitsstandards schon fraglich, inwiefern die zu erwartenden Mechanismen überhaupt rechtsverbindliche Entscheidungen treffen können werden (siehe z.B. Kap. 24 Art. 9 – 11 CETA-E). Zudem zeigen Erfahrungen mit früheren Abkommen, dass die Durchschlagskraft zwischenstaatlicher Mechanismen stark vom goodwill der beteiligten Regierungen und allgemeinen politischen Gegebenheiten abhängt. Obwohl es Gewerkschaften und NGOs mehrfach gelungen ist, die Vertragsstaaten zu einer Inanspruchnahme arbeitsrechtlicher Streitbeilegungsmechanismen zu bewegen, konnte dies den Anliegen der Petenten dennoch oft nicht hinreichend Geltung verschaffen (siehe dazu etwa hier).

Wollen einheimische Unternehmen sowie Verbraucher und Arbeitnehmer ihre Rechte und Interessen durch eigene Rechtsbehelfe geltend machen, sind sie letztlich weitestgehend auf Rechtsschutz vor nationalen Gerichten verwiesen. Vor diesen Gerichten werden sie sich zudem ausschließlich auf nationales Recht berufen können, weil etwaige TTIP-Schutzvorschriften dort wohl nicht direkt einklagbar sein werden (bereits bekannte Klauseln in anderen Abkommen schließen dies jedenfalls ausdrücklich aus, z.B. Kap. 33 Art. 14.16 CETA-E).

Gerade im Vergleich mit dem Investitionsschutz erscheint der Verweis anderer Gruppen auf den nationalen Rechtsschutz bemerkenswert, sind es doch ausgerechnet bestehende oder befürchtete Defizite innerstaatlicher Gerichtsverfahren, die oft als Begründung für eine besondere Schutzbedürftigkeit von Investoren durch einen internationalisierten Investitionsschutz ins Feld geführt werden.

Eine subjektiv-rechtliche Position auch für andere Marktteilnehmer als möglicher Weg zu größerer Chancengleichheit?

Wie ist mit diesem Ungleichgewicht umzugehen? Eine verbreitere Reaktion ist, materielle und prozessuale Investitionsschutzvorschriften ebenfalls insgesamt abzulehnen. Eine solche „negative Angleichung“ des Investorenschutzes mit dem Schutz anderer Marktteilnehmer ist freilich nicht die einzige Option. Um die beschriebene Ungleichheit zwischen den Marktteilnehmern abzufedern, könnte vielmehr ebenso gut im Wege einer „positiven Angleichung“ auch diesen anderen Gruppen eine stärkere eigene Position zur Einforderung der ihrem Schutz dienenden Vorschriften eingeräumt werden.

Dies mag Manchem zwar ebenso politisch unerreichbar erscheinen wie noch vor wenigen Monaten die Idee eines TTIP-Investitionsgerichtshofs. Andererseits kann gerade die EU auf eine jahrzehntelange Erfahrung im Austarieren von Rechten und Interessen verschiedener Markteilnehmer in einem überstaatlichen Wirtschaftszusammenschluss zurückblicken. Neben der ausreichenden Sicherung materieller Schutzstandards sind hierbei auch wichtige Erfahrungen in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gemacht worden. Die Etablierung von Individual- bzw. Verbandsklagemöglichkeiten für alle Marktteilnehmer, nicht zuletzt auch als funktionale subjektive Rechte zur besseren Implementierung gemeinsamer Schutzstandards, haben jedenfalls in Europa nicht zur Schwächung, sondern eher zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die heutigen europäischen Mechanismen 1:1 auf TTIP übertragen werden sollen (oder auch nur könnten). Auch bedeutet das nicht, dass nunmehr jeder Marktteilnehmer zwangsläufig unmittelbaren Zugang zum TTIP-Gerichtshof erhalten muss, da auch andere, ähnlich effiziente und auf die jeweiligen Eigenheiten der Schutzstandards zugeschnittene Ausgestaltungen denkbar sind. Der Vergleich illustriert aber das Potenzial einer (auch) auf wirtschaftliche Chancengleichheit unter den Betroffenen bedachten Ausgestaltung der materiellen, vor allem aber auch der prozessualen Vertragsbestimmungen. Eine stärkere subjektive Stellung der übrigen Marktteilnehmer, insbesondere auch Möglichkeiten einer eigenen prozessualen Durchsetzung könnte Ungleichgewichte auffangen und dadurch auch dazu beitragen, die allgemeine Akzeptanz des TTIP zu erhöhen.

Wie eine solche Gestaltung verbesserter Rechtsschutzmöglichkeiten im TTIP (und denjenigen Abkommen, denen es als Blaupause dienen soll) konkret aussehen könnte, muss einer zukünftigen Darstellung überlassen werden; aus juristischer Sicht erscheint sie ohne Zweifel anspruchsvoll, aber keinesfalls unmöglich. In den letzten Monaten haben Kommission, Regierungen, Öffentlichkeit und Wissenschaft jedenfalls eindrücklich zur Schau gestellt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit einer Materie wie dem Investitionsschutzrecht trotz aller Mühe und mancher Begleiterscheinungen innerhalb kurzer Zeit zu bemerkenswerten Ergebnissen gelangen kann. Es wäre zu begrüßen, wenn dieser Weg der kontroversen, aber letztlich konstruktiven Debatte auch für die vielen weiteren Baustellen des Großprojekts TTIP fortgeführt würde.

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